Freitag, 10. August 2012

Hermann Hesse: Der Weg nach innen


Aus Anlass des gestrigen 50-jährigen Todestages von Hermann Hesse habe ich mich entschlossen, einen kleinen Auszug aus meinem Buch zu verwenden, der entstanden ist, als ich Hesses Siddhartha vor der eindrücklichen und friedvollen Kulisse des Himalayas las. 
Der Auszug stellt eines der Kernstücke des Buches dar und war von einer Begegnung mit einem Sikh geprägt, in dem ich kurzzeitig einen Lehrer gefunden hatte. Für mich war Dharamsala mit seiner buddhistischen Kultur (als Exilheimat der tibetischen Gemeinde und des Dalai Lama in Indien) der perfekte Ort für die Lektüre. Darüber hinaus verbindet mich mit Hesse die Herkunft aus einer Pfarrerfamilie und die existentielle Sinnsuche. Natürlich kann der Vergleich nur hinken und ich sehe zu Hermann Hesse als eines meiner wenigen Vorbilder auf.


„Parallel zu den Begegnungen mit ihm (dem Sikh) las ich Siddhartha. Ein phantastisches Buch, das für mich viele spannende Aspekte beinhaltete.

Auch ich musste wohl eines Tages lernen aufzuhören, die Welt aufgrund der Ungerechtigkeit in ihr zu verachten, mir selbst und anderen zu verzeihen und die Ambivalenz der Welt als Einheit und weniger als Gegensatz zu verstehen.

Meine moralischen Ansprüche waren sicher nicht falsch, aber wohl von kaum einem Menschen zu erfüllen und auch ich scheiterte immer wieder selbst an ihnen.

Besonders angesprochen hat mich, dass Siddhartha in der Erzählung Buddha nicht nachfolgt, obwohl er diesen als heiligen Mann wahrnimmt, weil er spürt, dass er nur eigenständig Erleuchtung finde. Er kann dessen Weisheit nicht einfach übernehmen. Nur die Wahrheit, die er in sich selbst entdecken konnte, erscheint ihm wertvoll, lebendig und für ihn wirksam. Das entsprach sehr stark meinen eigenen Vorstellungen, meinen ganz eigenen Weg zu finden jenseits von vorgefertigten Glaubens- und Moralvorstellungen. Auch mir fiel es ausgesprochen schwer, Lehren anderer Menschen anzunehmen.

Die Überwindung des Leids als Weg der Erleuchtung konnte vielleicht auch meinem Leben einen ganz anderen Sinn verleihen. Gleichzeitig war das vielleicht auch genau die Bürde, die ich überwinden musste. Schließlich versuchte auch ich, das Kreuz der Welt zu tragen und konnte oft nicht anders als daran zu zerbrechen und zu scheitern. Spannend auch, wie es Siddhartha trotz massiver Rückschläge gelingt, im Verlauf der Erzählung seine Perspektive auf die Welt zu verändern:

Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich überwinden wollte. Ich konnte es aber nicht überwinden, konnte es nur täuschen, konnte nur von ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken.

Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschäftigt wie dieses meine Ich, dies Rätsel, dass ich lebe, dass ich einer und von allen anderen getrennt und abgesondert bin…
 
Am Ende der Erzählung erlebt sich Siddhartha dann als Teil eines großen Ganzen, das uns alle ausmacht und fühlt sich nicht mehr getrennt von den anderen Menschen und der ihn umgebenden Natur. Alles ist beseelt von demselben Funken, der nichts anderes ist als augenblickliche Existenz:

… langsam blühte, langsam reifte in Siddhartha die Erkenntnis, das Wissen darum, was eigentlich Weisheit sei, was seines langen Suchens Ziel sei. Es war nichts als eine Bereitschaft der Seele, eine Fähigkeit, eine geheime Kunst, jeden Augenblick, mitten im Leben, den Gedanken der Einheit denken, die Einheit fühlen und einatmen zu können. Langsam blühte das in ihm auf, strahlte ihm aus Vasudevas altem Kindergesicht wider: Harmonie, Wissen um die ewige Vollkommenheit der Welt, Lächeln, Einheit.

Beide Zitate aus: Hermann Hesse, Siddhartha.

Dies war die Essenz, meinen Weg musste ich jedoch ähnlich wie Siddhartha selbst entdecken. Erlebt hatte ich diesen Zustand schon einige Male, in der Regel jedoch mithilfe psychoaktiver Substanzen.

Dennoch wusste ich, dass es auch für mich einen Weg gab; doch galt es ihn dauerhafter und ohne die Hilfe jeglicher Substanzen zu beschreiten. Nur dann würde ich in der Lage sein, dauerhaften Frieden zu erlangen.

Es tat mir ausgesprochen gut, so viel zu laufen. Es dauerte jedoch immer einige Stunden, bis der fortwährende Strom meiner Gedanken allmählich verstummte oder zumindest abnahm und an ihre Stelle eine selten erlebte Klarheit trat.

Nun benötigte ich meine geistige Kraft dazu, die Konzentration aufrecht zu erhalten, um keine Fehler zu machen, die nahe am Abgrund zu fatalen Konsequenzen führen konnten. Ich fühlte mich lebendig wie nur selten in meinem Leben. Die umgebenden Geräusche, ein vorbeiziehender Vogel, die Berge um mich herum und der Pfad vor meinen Augen – das war alles was zählte. Im Hier und Jetzt zu sein, das gelang mir sonst nur selten und ich
genoss diese Momente in vollen Zügen.“

Hermann Hesse suchte oft seinen Frieden durch lange Wanderungen und den Rückzug in die Einsiedelei. Zeit seines Lebens war er ein Suchender.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen